Beim Erzengel
Dienstag, April 05, 2005
  Wohnung .

Die Wohnung widersetzt sich.

Ich betrat sie durch die Eingangstür und die Bücher schlugen mich fast auf der Stelle tot. Broch. Platon. Brecht ... Ich ließ meine Laptoptasche fallen und suchte Weite. Auf dem Küchentisch wartete eine langstielige rote Rose. Und eine Umarmung von W. Willkommen in Berlin. Ich brauchte zwei Stunden, um einen Wasserhahn aufzudrehen. Den Feinstaub von den Fingern zu reiben. Ich brauchte Tage, um den Koffer auszupacken. Das Klavierzimmer war wochenlang eine Gepäckhalde. Die erste Waschgang wollte und wollte zu keinem Ende kommen. Die Waschmaschine in Tsukuba erledigte alles in sauberen 40 Minuten, manchmal sogar in 28. Sie wusch zwischen zehn und drei Minuten. Schleuderte zwischen zehn Minuten und sechzig Sekunden. Dazwischen zog sie Wasser. Pumpte es wieder ab. Pustete zum Schluss ihr fröhliches Liedchen durch das aseptische Appartement. Unsere Wäsche ist in den zwei japanischen Wintermonaten in die Breite gewachsen. Wie eine schwangere Auster.

Stundenlang trug ich den Laptop von einem Zimmer ins andere. Jeden Tag aufs Neue. Bis ihn das Stampfen der Trojanischen Pferdeherde TR/Lowzones.A durchpflügte. Die Strafe für mein einäugiges Pferd. Seither benütze ich wieder die alten PCs. Bequeme mich zu ihren fest verkabelten Ecken. Bewundere ihre Monstrosität. Sie sind immun gegen modernen Pferdemist. Wochenlang mied ich meinen Schreibtisch. Und den fast Meterhohen Poststapel. Ich brauchte zwei schlaflose Vollmondnächte, um jeden Umschlag aufzureißen. Und fand eine einzige wichtige Nachricht. Alles andere landete im Papierkorb. Meine Warschauer Schlummermutter, Pani Antonina war gestorben. Die Strafe für meinen Zungenbrechertisch.

Ich fing an aufzuräumen. Panisch. Ich wollte alles wegwerfen. Die Tische. Die Stühle. Die Tassen. Die Teller. Die Wände. Die Decken. Beton. Kunststoff. Holzimitat. Ach, das gibt es auch noch. Schoss es mir an den unglaublichsten Stellen durch den Kopf. Brennend heiß. Im Bad. Eiskalt. Hinter dem Kühlschrank. Ekelerregend. In der Sockenschublade. Was ich in den letzten drei Monaten vergessen habe, brauche ich nicht. Ich wollte die Wohnung auflösen. Aus dem Grundbuch reißen. Zum Kuckuck wünschen. Um endlich wieder Luft zu bekommen, trug ich unsere Wintermäntel in die Chemische Reinigung. Räumte den Balkon auf. Kippte die letztjährige Blumenerde in den Müllschlucker. Und alle angeschlagenen Tontöpfe. Gläsernen Untersetzer. Kunterbunten Keramikübertöpfe. Fuhr nach Stralsund. Putzte Fenster und sortierte Hemden. Nach dem Tod eines Menschen soll man sein Leben und seine Kleiderschränke ordnen. Ich kam zurück und beschloss, in diesem Sommer nichts anzupflanzen. Auf dem Balkon beim Erzengel.

Die Wohnung widersetzt sich. Weiter. 
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