Beim Erzengel
Dienstag, Juni 28, 2005
  Flotte Lotte .

Die Zuversicht stellt sich so unvermittelt wieder ein, wie man ein Telefonbuch aufschlägt. Meine neue Frisöse heißt Birgit. Sie schnitt mir heute die Haare.

Birgit sagt, ihr fehlten Worte. Für Frisuren.
Ich bin verblüfft. Du hast doch Kataloge. Zeitschriften. Trends und Moden.
Sie legt die Schere beiseite. Schaut nach im Handbuch der Saison. Es ist so dick wie mein Telefonbuch. Nur die Haarfärbfarben haben dieses Jahr Namen. Die Strähnchentöne. Die Lockenwickler. Anschauliche Namen. Unanschauliche Pastellfarben. Appetitanregende kunterbunte Kunstnamen. Die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Einsilbig abgetönte Mischfarben. Wie Aprikosenschaum. Oder Bitterklee. Malvenmousse. Blutbuchenzauber. Zimtstengelmatt. Pfirsichblütenstaub. Joghurtnamen. Namen aus dem italienische Eiscafé nebenan. Aus der Milchprodukteabteilung. Der leichten Quarknachspeisen im Kühlregal. Birgit ist unentschlossen. Ich will weder einen Namen noch eine Farbe auf meinen Kopf. Die Frisöse legt das Buch aus der Hand. Verlässt den Salon. Bestellt beim italienischen Kellner zwei Milchkaffee im Glas. „Wir nehmen uns Zeit für Haare“, steht im Schaufenster. In Spiegelschrift.

Frech kann eine Frisur nicht sein. Meint Birgit. Mit der Schere in meinem Nacken. Eine Frisur ist kein Gefühl.
Ich rühre mich nicht. Frech ist kein Gefühl. Frech ist eine Ungezügeltheit. Und umso mehr kann eine Frisur nicht frech sein. Die Sprache ist altmodisch. Sage ich. Und schwerfällig. Ein Vehikel, das nicht ohne Buchstaben auskommt. Jedes Wort hinkt dem Haarschnitt unweigerlich nach. Unbeholfen. Und ungehobelt. „Sexy“ ist das einzige Adjektiv, welches das Handbuch der Köpfe dieses Sommers kennt. Eine sexy Frisur. Birgit ist enttäuscht. Die Frauen auf den Fotos sehen zerzaust und stachelig aus. Ungekämmt. Und unausgeschlafen.

Zu kurz, sagt die Frisöse, sieht zu sportlich aus. Und wundert sich, dass der letzte Schnitt so lange gehalten hat.
Ist das nicht normal? Eine dämliche Frage. Wo soll denn der Haarschnitt hin? In die neue Rechtschreibung?

Flott, bekennt Birgit, gefällt mir. Es ist ein Wort aus den siebziger Jahren. Sie schnippelt wild an meinen Fransen. Die herabregnenden Haarspitzen kitzeln. Ich schließe die Augen. Und blättere im Geist. Im etymologischen Wörterbuch. Flott gehört dort in die Seemannssprache. Seine Ausgangsbedeutung ist „obenauf schwimmen“. Das Adjektiv gewinnt im 18. Jahrhundert allgemeine Verbreitung und entwickelt die übertragene Bedeutung von „lebensfroh, munter“.

Meinetwegen. Murmle ich plötzlich zuversichtlich. Flott. Eine flotte Frisur. Eine flotte Sommerfrisur. 
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