Beim Erzengel
Donnerstag, Juni 09, 2005
  Fünfräppler .

In der Schweiz soll, lese ich heute in der gestrigen Basellandschaftlichen Zeitung, das kleinste Geldstück abgeschafft werden. Der goldfarbene „Fünfräppler“. Ich frage mich, warum. In Deutschland ist nach der Einführung des Euro das geplante Umgewöhnen in den Köpfen und Fingern der Kauffreudigen – weg von der Ein- und Zweicentmünze – nicht gelungen. Unter anderem wegen der 69- und 28-Centpreise von Aldi, Penny, Lidl und wie sie alle heißen.

Beim Tai Chi haben wir heute die Form abgeschlossen. Das Ende von Teil drei kam so plötzlich, dass wir alle ganz verdutzt dastanden und fast bedauernd unsere sinkenden Hände aus den Augen verloren. Seit zweieinhalb Jahren lernen wir die dreiteilige Form im sogenannten authentischen Yang-Stil. Erde, Himmel, Mensch. Was immer das heißt. Aufrichtung wie ein Baum. Ausdehnung wie ein Ball. Und jetzt sind wir durch. Nach den Sommerferien fangen wir wieder von vorne an. Vertiefungsstufen. Yin-Yang. Armspirale. Beinspirale. Halsspirale. Wir möchten es alle nicht mehr missen.

In Isliberg erschlug ein Mann seine Frau und seine zwei Kinder mit massiven Hammerschlägen auf den Kopf in der Nacht im Schlaf. Am Morgen stürzte er sich von der Lorzentobelbrücke 60 Meter tief in den Tod. Die Familie, heißt es, sei vor vier Jahren, als das jüngere Kind zur Welt kam, in das neue Einfamilienhaus-Quartier gezogen und habe als „Vorzeige-Familie“ gegolten. Als Grund wird „berufliche Überforderung“ des Täters angenommen.

Meine Glarner Großmutter, die uns zu Weihnachten Goldvreneli schenkte, gab uns Enkelkindern einen Satz ins Leben mit: „Wer den Rappen nicht ehrt, ist des Franken nicht wert.“ Mit Erfolg. Ich kriege den Satz nicht mehr aus meinem Kopf. Und mit mir ein paar Millionen Schweizer Kinder.

In Oberiberg tötete am frühen Morgen ein 59-jähriger Schweizer seine 51-jährige Gattin im Treppenhaus eines dreistöckigen Mehrfamilienhauses und anschließend sich selbst im Keller. Mit einem Küchenmesser.

Seit zweieinhalb Jahren verbringen wir Donnerstag vormittag eineinhalb Stunden zusammen. Rhea, der Posaunenspieler Heiko und ich sogar bis zu drei Stunden. Wir setzen uns nach dem Tai Chi ins Café Bilderbuch und besprechen unsere Lage. Die Knieschmerzen. Das Wundern im runden Ellbogen. Den aufgerichteten Beckenboden. Wenn die Ferien anfangen, lassen wir uns betrübt aus den Armen. Rhea aus Maui steigt in die U-Bahn an der Eisenacherstraße. Heiko fährt mit der S-Bahn zu Musikschule. Ich nehme mein Fahrrad.

Das Ende des Fünfräpplers kommt, weil Swissmint sagt, seine „Gestehungskosten“ seien höher als sein Wert. Die Migros fürchtet Aldi. Die Metzger fürchten Aldi nicht. Schweizer Milchbauern, die EU-Land bewirtschaften, können Flächenbeiträge für Futtergraswiesen beantragen. Dafür werden ihnen die Schweizer Subventionen gestrichen. Die EU zahlt pro Hektare Grünland 70 Euro. Die Schweizer Direktzahlungen belaufen sich für im Ausland gelegenes, „angestammtes“ Land auf derzeit mindestens 900 Franken pro Hektare. Also fast zehnmal so viel.

Ich verstehe die Welt nicht mehr. 
Comments: Kommentar veröffentlichen

<< Home

ARCHIVES
April 2005 / Mai 2005 / Juni 2005 / Juli 2005 / August 2005 /


Powered by Blogger